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Erfahrung als Qualitätsaspekt in der Krankenhausmedizin

Chefarzt Dr. HüttenhainBuchen & Mosbach | Ein Gespräch mit  Chefarzt Dr. Hüttenhain von den Neckar-Odenwald-Kliniken.

Dr. med. Thomas Hüttenhain, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie, gehört an den Neckar-Odenwald-Kliniken zu den erfahrensten Medizinern. Der 1962 in Offenbach/Main geborene Chirurg musste sich im Frühjahr 2019 selbst im Krankenhaus behandeln lassen und wurde mit der Frage konfrontiert, ob er sich für diese Behandlung einen besonders erfahrenen Kollegen wünsche. Hier Auszüge aus einem Gespräch mit Chefarzt Hüttenhain zu einem interessanten Thema.

Was ist Ihnen bei dieser Frage durch den Kopf gegangen?

Chefarzt Thomas Hüttenhain: „Erst habe ich nicht nachgedacht. Mein schnelles ‚Ja‘ zugunsten eines besonders erfahrenen Kollegen war genauso spontan wie das ‚Ja‘ eines Flugpassagiers, der sich einen erfahrenen Piloten wünscht. Wenn man sich zum Beispiel in Narkose in fremde Hände begibt, erscheint Erfahrung zunächst als das Wichtigste. Aber bei näherem Hinsehen kam ich dann doch ins Grübeln.“

Wie hat sich dieses nähere Hinsehen gestaltet?

Chefarzt Thomas Hüttenhain: „Ganz nach dem Motto: ‚Übung macht den Meister‘ ist man schnell geneigt, Routine und Erfahrung mit dem Beherrschen einer Tätigkeit gleichzusetzen. Und es gibt in Bezug auf den Wert von Erfahrung in der Medizin wissenschaftliche Untersuchungen, die auch in der Publikumspresse viel Beachtung finden. Zu den jüngsten zählt eine Studie aus den USA, die 2018 aufzeigte, dass die Überlebensrate bei Notoperationen durch ältere Chirurgen steigt und auch dann noch besser wird, wenn Chirurgen über 60 Jahre alt sind (Y. Tsugawa, BMJ, Los Angeles, USA). Andere Untersuchungen kommen hingegen zu gegenteiligen Ergebnissen. So hatte der gleiche Autor ein Jahr zuvor, also 2017, Zahlen veröffentlicht, denen zufolge die Patientensterblichkeit mit dem Alter des behandelnden Arztes zunehme (Süddeutsche Zeitung, 18.5.2017). Derart widersprüchliche Aussagen können einen schon verunsichern.“

Erfahrung allein scheint also nicht zu reichen?

Chefarzt Thomas Hüttenhain: „So ist es! Damit in der medizinischen Behandlung für den Patienten alles optimal läuft, sind viele Faktoren von Bedeutung. Erfahrung ist da ein Glied in der Kette.

Die Psychologie beschreibt im Zusammenhang von ‚Entscheidungsfindung und Handlung‘ einen Ablauf, der aus folgenden Schritten besteht: Wahrnehmung – Erinnerungsvergleich – Entscheidung – Handlung – Ergebnis. Und all diese Schritte sind unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt. Schon die Wahrnehmung durch all unsere fünf Sinne ist doch sehr individuell.

Dabei können funktionale Einschränkungen, wie zum Beispiel nachlassende Sehkraft oder mangelnde Konzentrationsfähigkeit, ebenso als Störfaktoren auftreten wie mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber bestimmten Symptomen eines Patienten.

Beim nächsten Schritt, dem Erinnerungsvergleich, spielt Erfahrung eine wichtige Rolle. Dieser meines Erachtens entscheidende Schritt schöpft aus dem Reservoir ähnlich erlebter Fälle und fundamentiert mit dem, was in der Vergangenheit zum Erfolg geführt hat, anstehende Entscheidungen.

So kommt es zu erfahrungsfundierten Entscheidungen, die in der Medizin zum Beispiel die Form einer Therapieempfehlung, einer notfallmedizinischen Hilfe oder einer weiterführenden Diagnose annehmen können. Aber auch hier gibt es Fallstricke: Im Vergleich mit früher erlebten Situationen liegt es naturgemäß auf der Hand, erfolgreiche Aktionen zu wiederholen. Aber zum Leben sollten immer auch ein beständiges Dazulernen und die Bereitschaft zur Weiterentwickelung gehören. Man darf nicht der Versuchung erliegen, alternative und vielleicht bessere Wege erst gar nicht zu suchen. ‚Schema F‘ lässt sich eben nicht auf Menschen anwenden.

Ist die Entscheidung gefällt, erfolgt die Handlung als Umsetzung der Entscheidung. Hier kommt es für den Chirurgen neben der ‚ruhigen und erfahrenen Hand‘ auf Qualitäten an, die sich wiederum aus dem Blick für die richtige Aktion, aus Konzentrationsfähigkeit, handwerklichem Geschick und Ausdauer zusammensetzen. Dabei ist Erfahrung wiederum nicht alles, es bedarf einer gewissen Leistungsfähigkeit.

Diese These kann sich beispielsweise auf eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Lyon ( A. Duclos, J-C. Lifante ) stützen, die 2011 ermittelten, dass bei Operationen an der Schilddrüse die Ergebnisse am besten seien, wenn der Operateur zwischen 35 und 50 Jahre alt ist, also in dem Alter, in dem Erfahrung, handwerkliche Sicherheit und hohe physisch/psychische Präsenz eine bestmögliche Schnittmenge aufweisen sollten. Ausnahmen bieten ältere Chirurgen die eine hohe Operationsfrequenz aufweisen, also ‚im Training‘ sind. (siehe Der Spiegel, 13.1.12 )

Erfahrung und Alter sind also nicht unbedingt gleichzusetzen.“

Ihr Fazit?

Chefarzt Thomas Hüttenhain:

„Mein Resümee: Natürlich wünsche ich mir einen erfahrenen Arzt für meine eigene Behandlung. Ich weiß aber, dass mehr dazu gehört als das reine Lebensalter. Vertrauen gewinne ich im persönlichen Gespräch. Bei mir sind es inzwischen mehr als 30 Berufsjahre in der Chirurgie, die in mein tagtägliches Handeln einfließen. Bei aller gebotenen Selbstreflexion finde ich dabei den alten Leitsatz bestätigt: ‚Nothing beats experience‘ – sinngemäß:  ‚Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen‘.

Aber es gibt immer etwas Neues dazu zu lernen, und ich achte sehr darauf, immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Glücklicher Weise habe ich mich von dem einleitend erwähnten Eingriff gut erholt und fühle mich komplett fit.“

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